Stellen Sie sich vor, dass Sie sich um eine Grünfläche rund um Ihr Haus oder in einem Park kümmern. Würden Sie nur das Substrat verlegen und zusehen, wie es von selbst nachwächst, und beobachten, welche invasiven Pflanzen als erste wachsen? Wahrscheinlich nicht. Sie werden entweder vorgefertigte Rasenmatten verwenden oder die Rasensamen aussäen – manchmal sogar den Boden anschließend mit einer Gartenfolie abdecken, um die oberste Schicht aufzuwärmen, die Samen vor Winderosion und Vögeln zu schützen, die Bodenoberfläche vor der Besiedlung durch Unkraut zu bewahren und zu verhindern, dass kleine Partikel weggeblasen werden. Nun, die gleichen Prinzipien gelten für die Dachfläche.
Ein „braunes Dach“ mit ungewissem Ausgang
Grün ist nicht braun und umgekehrt. Was ist ein „braunes Dach“?
Ein „braunes Dach“ ist ein Dach, das abgedichtet und mit einem Substrat (Erde und Bauschutt) versehen wird. Es ahmt die Brachfläche nach, auf der das Gebäude errichtet wurde. Man überlässt es daraufhin den Pflanzen, sich dort mit Hilfe von Wind oder Vögeln selbst zu vermehren.
So weit, so gut, könnte man sagen. Aber stellen Sie sich eine solche Fläche nach ein oder zwei Jahren vor. Die Winderosion wird die leichten Partikel in die Umgebung wehen. Wollen Sie, dass diese Partikel frei in der Nachbarschaft herumschweben und die Staubpartikel-Konzentration in der Stadtluft erhöhen? Wollen Sie hinterher eine freilegende, substratlose Dachfläche haben, auf der sich keine Pflanzen entwickeln können?
Selbst wenn Sie sich für ein „braunes Dach“ entscheiden, müssen Sie es pflegen – oft sogar intensiver als ein Gründach. Sie müssen das unerwünschte Unkraut und die tief wurzelnden Setzlinge entfernen. Beide haben wahrscheinlich mehr Platz zum Einwurzeln und Wachsen als bei einem bereits begrünten Dach, wo die vorhandenen Pflanzen mit unerwünschten „Neuankömmlingen“ konkurrieren. Sie werden übergroße Pflanzen beschneiden und den (ausschließlich gewünschten) Pflanzen Nahrung geben müssen. Sie werden die Randbereiche säubern und die Dachrinnen und Abflüsse reinigen müssen. Letztere werden wahrscheinlich schnell verstopft sein, da sich viele Substrat-Partikel frei bewegen, bis das Dach begrünt ist.
Wahrscheinlich werden Sie eine zusätzliche Bepflanzung vornehmen müssen, wie im Fall des „braunen Daches“ des Laban-Tanzzentrums, wo die meisten Pflanzen vor Ort gesammelt und im Laufe der Jahre auf dem mit Erde bedeckten Dach gepflanzt wurden, wie von Dusty Gedge, einem anerkannten Fachmann für grüne Infrastruktur, berichtet wird. (https://dustygedge.co.uk/index.php/green-roofs/laban-the-story-of-the-original-rubble-brown-roof/ ).
Foto: „Braunes Dach“ des Laban-Tanzzentrums (https://www.researchgate.net/figure/Laban-Dance-Centre-brown-biodiverse-roof_fig6_265937139
Alle Arten von Biodiversitätsdächern erfordern eine Investition. Wer die diesbezüglichen städtischen Herausforderungen verantwortungsvoll angehen will, muss den Worten Taten folgen lassen und darf seinen Stakeholdern keine grünen Lösungen vorgaukeln.
All die Vorteile, die bereits weithin anerkannt sind, wie die Eindämmung des Wärmeinseleffekts in Städten, die Energieeffizienz, die Regenwasserbewirtschaftung, das verbesserte Wohlbefinden usw., werden mit Gründächern besser und effizienter erreicht als mit „braunen Dächern“. Nehmen Sie als Beispiel die Eindämmung des Wärmeinseleffekts. Bei einem „braunen Dach“ ist die Dachfläche mit einer Substratschicht bedeckt, die sich aufheizt und austrocknet. Bei einem Gründach hingegen, ist die Oberfläche mit einer dichten Vegetationsschicht bedeckt, wobei Pflanzen hier die Hauptarbeit leisten, weil Sie verdunsten, transpirieren und die Umgebungsluft abkühlen:
Quelle: Tiwari et al., 2021. (GI = grüne Infrastruktur)
Was sagt die Wissenschaft über „braune Dächer“? Ursprünglich dachte man, dass mit Substrat bedeckte Dächer ein Ort der Selbstbesiedlung sind, an dem Samen durch Wind und Vögel eingeschleppt und wie auf einer Brachfläche belassen werden. Das Substrat bestand aus zerkleinertem Beton. Die Befürworter dieses Konzepts haben es inzwischen beiseitegelegt, da „braune Dächer“ in Bezug auf die Wasserspeicherung und -bereitstellung von geringem Wert sind. Hinzu kommt die unerwünschte Vegetation, die auftreten kann und entweder den Eindruck eines ungepflegten Systems erweckt oder aber das Dach auch beschädigen kann (Calheiros und Stefanakis, 2021).
Warum werden Gründächer immer wichtiger?
In städtischen Siedlungen (Städte, Gemeinden, Vororte) leben 55 % der Weltbevölkerung, und dieser Anteil wird bis 2050 voraussichtlich auf 68 % steigen. Die Verstädterung hängt mit der räumlichen Verteilung der Weltbevölkerung zusammen und ist einer der vier demografischen Megatrends, d. h. Wachstum der Weltbevölkerung, Bevölkerungsalterung und internationale Migration.
Die Lebensqualität in städtischen Siedlungen ist und wird auch in Zukunft von größter Bedeutung sein. Die Integration von naturbasierten Lösungen (NBS) und grüner Infrastruktur (GI) zielt auf die Renaturierung der Städte und die Erhöhung der territorialen Resilienz ab. Die Rolle von NBS und GI wurde erkannt und wird auch in der jüngsten politischen Ausrichtung (UN-Klimagipfel, EU-Green Deal, Gesetz zur Wiederherstellung der Natur, Biodiversitätsstrategie usw.) und vielen nationalen Anreizen und Zuschüssen weltweit anerkannt. Diese Entwicklung sollte weiter vorangetrieben werden, da sie einen nachhaltigen Weg in die Stadtgebiete von morgen darstellt.
1. Die Ausweitung der Dachbegrünung ist aus politischer Sicht machbar
Es gibt immer noch große Unterschiede beim Anteil der Gründächer in Städten, von 5,71 m2 Gründächer pro Einwohner in Basel in der Schweiz und bis hin zu 0,09 m2 in Toronto, in Singapur und sogar nur 0,07 m2 pro Einwohner in Kopenhagen (Chapman, 2019).
Die Herausforderung besteht darin, die gebaute Umwelt durch die Einbeziehung von NBS zu verändern. Die Integration von Gründächern wird den Übergang der Städte zu Kreislaufwirtschaft und Resilienz unterstützen, indem sie den vorhandenen Platz auf den Dächern nutzt. Sie bieten verschiedene Ökosystemleistungen und können als multifunktionale und dezentrale Einheiten fungieren. Um diese Leistungen zu verbessern, müssen Gründächer effektiv in die städtische Landschaft integriert und repliziert werden (Calheiros und Stefanakis, 2021). Warum sollte die Politik tatsächlich täglich und konkret über Gründächer sprechen und sie nicht nur als Teil der NBS und GI erwähnen?
Weil:
- 40–50 % der undurchlässigen Flächen in den meisten entwickelten Städten auf Dächer entfallen (Stovin, 2010),
- es möglich ist, Gründächer auf nachgerüsteten Dächern zu installieren (leichte Gründächer wie Urbanscape®) und Gründächer auf neuen Gebäuden vorzuschreiben,
- die Dachbegrünung die Leistung von Solarzellen erheblich erhöht und somit zur effizienten Nutzung erneuerbarer Energiequellen beiträgt.
Die aktuelle EU-Politik zeigt im Rahmen eines Green Deal die zahlreichen Möglichkeiten für politische Entscheidungsträger auf, in die in Überarbeitung befindlichen Rechtsvorschriften einzugreifen (WGIN, 2023):
2. Begrünte Dächer bieten zunehmend wichtige Vorteile für die städtische Umwelt
Interessante Zahlen von Quaranta et al. (2021) zeigen, dass die Begrünung von 35 % der städtischen Fläche der EU (d. h. mehr als 26.000 km2) bis zu 55,8 Mio. Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr an Treibhausgasemissionen vermeiden und den Energiebedarf für die Kühlung von Gebäuden im Sommer um bis zu 92 TWh pro Jahr senken würde, was einem Kapitalwert von mehr als 364 Mrd. Euro entspräche. Außerdem würden etwa 10 km3 Regenwasser pro Jahr in „grünes“ Wasser umgewandelt, was etwa 17,5 % des „blauen“ Wassers entspricht, das derzeit in den Städten abfließt, und so die Verschmutzung der Gewässer und Überschwemmungen in den Städten verringern würde.
Durch die Begrünung städtischer Flächen würde die Sommertemperatur um 2,5–6 °C sinken, wobei die Abschwächung des städtischen Wärmeinseleffekts über einen Zeitraum von 40 Jahren einen Kapitalwert von schätzungsweise 221 Milliarden Euro hätte. Der monetäre Nutzen deckt weniger als die Hälfte der geschätzten Kosten für die Begrünung und hat einen Kapitalwert von 1.323 Milliarden Euro für denselben Zeitraum. Abzüglich des monetären Nutzens belaufen sich die Kosten für die Begrünung von 26.000 km2 städtischen Flächen in Europa auf schätzungsweise 60 Euro pro Jahr−1 und Einwohner einer europäischen Stadt. Der zusätzliche Nutzen der Stadtbegrünung in Bezug auf die biologische Vielfalt, die Wasserqualität, die Gesundheit, das Wohlbefinden und andere Aspekte könnte diese zusätzlichen Kosten wert sein.
Wenn dies der Fall ist, stellt die städtische Begrünung eine multifunktionale, unbedenkliche und kostengünstige Lösung dar.
Literaturverzeichnis:
Calheiros C, and Stefanakis, A, 2021. Green Roofs towards Circular and Resilient Cities. Circular Economy and Sustainability 1, 395 – 411. 2021.
Chapman E, 2019. Greening roofs in Europe and beyond. Enable, ICLEI. Oslo, 2019.
Stovin, V, 2010. The potential of green roofs to manage urban stormwater. Water and Environment Journal 24:192-199. https://doi.org/10.1111/j.1747-6593.2009.00174.x
Tiwari A, et al., 2021. The impact of existing and hypothetical green infrastructure scenarios on urban heat island formation. Environmental Pollution Vol. 274, April 2021.
Quaranta E, Dorati C, Pistocchi A, 2021. Water, energy and climate benefits of urban greening throughout Europe under different climatic scenarios. Sci Rep 11, 12163 (2021).
WGIN, 2023. Urban Green Infrastructure for People and Climate: Synergies with EU Green deal & Fit for 55 Package. WGIN-brochure_rev11.pdf (worldgreeninfrastructurenetwork.org)